Mehr als Informatik und Hardware

Der Einsatz digitaler Medien und Tools im Unterricht erfordert neue pädagogische Konzepte. Das ist keine Neuigkeit. Aber vielerorts mangelt es an IT-Infrastruktur und entsprechenden Schulungen für Lehrkräfte. Auch kann das Angebot an digitalen Lern- und Lehrmaterialien überfordern. Einblicke in die Komplexität der „Digital Literacy“.

Von Tong-Jin Smith

In der 5d der Berliner Nelson-Mandela-Schule sind neun Studierende der Freien Universität zu Gast. Sie sind keine angehenden Lehrerkräfte, sondern studieren Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und sehen ihre Zukunft eher im Journalismus oder in der PR. Im Rahmen eines Forschungsseminars zu „Media Literacy“ haben sie aber nun einen Workshop zu „Fake News“ entwickelt, den sie mit der 5d durchführen. Parallel dazu untersuchen sie über Interviews, welches Medienbewusstsein die Kinder haben und wie gut das Faktenchecken klappt.

„Unser Augenmerk bei diesem Workshop waren Fake News auf Sozialen Medien, speziell Instagram“, erklären die Studierenden in ihrem Abschlussbericht. „Falsche Informationen auf Plattformen dieser Art zu erkennen, kann eine Herausforderung sein. Und man könnte sagen, dass nur ein geschultes Auge Fakes ausmachen kann.“ Fake News, also falsche Nachrichten, die nur erstellt werden, um ein Publikum in die Irre zu führen und Desinformationen zu verbreiten, die möglicherweise einem Propagandazweck dienen, seien oft sehr geschickt produziert und platziert. Daher sei digitale Medienkompetenz heute so wichtig, insbesondere für die junge Generation, deren Kommunikation und Informationsrecherche bevorzugt online stattfindet.

Fake News erkennen

Zwar zeigen Untersuchungen in verschiedenen westlichen Nationen, dass die Mehrheit der Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren durchaus in der Lage ist, online Fake News zu erkennen. Aber eben nicht immer. Es fällt ihnen dann schwer, etwas als falsch zu entlarven, wenn es in ihr eigenes Weltbild passt – genauso wie bei Erwachsenen. Und darin liegt die Gefahr.

Kritisches Lesen sowie das Hinterfragen und Diskutieren von Informationen, die junge Menschen auf verschiedenen Plattformen erhalten, seien erste Schritte zur digitalen Mündigkeit, resümiert die studentische Gruppe. Dabei geht es nicht nur um Nachrichten, sondern grundsätzlich um Informationen, die sie privat, im Rahmen von Schulprojekten oder für Hausaufgaben recherchieren. Kernfragen der digitalen Medienkompetenz sind hier: Stimmen die Fakten, wer hat diese Information veröffentlicht und zu welchem Zweck? Außerdem geht es um ein Bewusstsein für das eigene Onlineverhalten und die Daten, die man im Internet als Spuren hinterlässt und mit denen man sich Zugang zu Informationen „erkauft“. Egal ob bei der Nutzung von Suchmaschinen, dem Liken und Posten auf Sozialen Netzwerken oder beim Vokabellernen mit einer App: Fake News sind nur ein Problemfeld.

Mehr als technisches Know-How

Und damit wird klar, wenn wir über Digitalisierung in der Bildung sprechen, dass es längst nicht mehr nur um technisches Know-How im Sinne der Informatik geht oder den Einsatz von Computern als Lernwerkzeuge. Digitalisierung als Teil der Demokratiebildung fordert neue didaktische Konzepte und wird zur Querschnittsaufgabe aller Fächer und Schulformen.

„Moderne Smartboards haben bestimmt clevere Funktionen. Dennoch ist die Frage, ob Unterricht nun mit einer Kreidetafel, einem Overheadprojektor oder einem Smartboard unterstützt wird, für mich eine der am wenigsten spannenden, wenn ich an die Digitalisierung denke. Dahinter steckt eine Denke, die davon ausgeht, dass die digitalen Medien dem bestehenden Unterricht einfach hinzugefügt werden, dieser sich jedoch sonst nicht großartig zu verändern braucht“, schreibt Jannis Andresen auf dem Blog des Deutschen Schulportals. Der Mitgründer von Kreidestaub, einer bundesweiten Initiative von Studierenden aus dem Bildungsbereich, orientiert sich hier an dem 2003 verstorbenen Medienwissenschaftler Neil Postman, dessen Prämisse es war, dass technologischer Wandel transformativ verläuft. „Ein neues Medium fügt dem Alten nicht einfach nur etwas Neues hinzu – es verändert auch das Bestehende“, so Andresen.

Individuelles Lernen

Genau hierin besteht nun die Herausforderung für Lehrende an Schulen und Hochschulen. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und in die Voraussetzungen für eine Förderung via DigitalPakt Schule festgeschrieben, dass es „keine Förderung ohne Qualifizierung und ohne pädagogisches Konzept“ geben darf. Und weiter heißt es: „Angesichts der sozialen und kulturellen Vielfalt der Schülerschaft muss Bildung individueller gestaltet werden. Es ist für alle Schülerinnen und Schüler wie für Lehrkräfte lernförderlich, wenn individuelle Lernfortschritte genauer erfasst und durch gezielte Auswahl von Lernbausteinen und -materialien unterstützt werden können. Digitale Medien können das Lernen im Unterricht und außerhalb der Schule besser vernetzen und dazu beitragen, Bildungsbenachteiligung auszugleichen.“ Allerdings mahlen die Mühlen langsam und in vielen Schulen weiß man nicht so recht, wie man die Qualifizierung des Personals realisieren soll bzw. ob die Fördermittel überhaupt reichen werden, um eine moderne Infrastruktur für alle zu schaffen.

Ein Blick in die Hochschulen zeigt, dass auch dort die Digitalisierung im Sinne der Medienkompetenz und der Individualisierung des Lernens noch nicht wirklich angekommen ist. In nur acht europäischen Ländern ist „Digital Literacy“ für angehende Lehrkräfte fest im Studium verankert – nicht in Deutschland. Im Bereich der Lehrerkräftebildung tun sich hierzulande viele verantwortliche Fakultäten trotz entsprechender Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Digitalisierung der Hochschullehre schwer, Konzepte und Seminare zu entwickeln – sowohl für den Nachwuchs als auch für die Weiterbildung. Oft fehlt es an Geld und personellen Ressourcen. Innovative Forschungs- und Lehrinstitutionen wie die 2002 gegründete History Education Group der Stanford Universität in Kalifornien (SHEG) sucht man hierzulande vergeblich.

Innovative Curricula

Unter der Leitung von Sam Wineburg, einem renommierten Bildungsexperten, wurde dort bereits 2002 „Reading like a Historian“ entwickelt. Dieses digitale Curriculum für den Geschichtsunterricht lässt Schüler historische Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven selbständig und interaktiv entdecken – anstatt Daten und Fakten auswendig zulernen. „Beyond the Bubbe“, das zweite Projekt der SHEG, öffnet das Archiv der amerikanischen Kongressbibliothek für den Geschichtsunterricht und ermöglicht neue Prüfungsformen, die auf digitalisierten Originaldokumenten basieren. Beide Curricula sind frei verfügbar und wurden laut SHEG weltweit bereits mehr als 5 Millionen Mal heruntergeladen.

Heute konzentriert sich die SHEG auf „Civic Online Reasoning“, ein Programm, das die kritische Bewertung von Webinformationen zum Kern hat. Zusammen mit Partnern wie dem Poynter Institute und Google erarbeitet das Team im Rahmen des Projekts „MediaWise“ Unterrichtsmaterial, um Kinder und Jugendliche in ihrer digitalen und demokratischen Mündigkeit zu fördern. „Zunehmend erfahren junge Menschen, wie die Welt funktioniert, durch die digitalen Informationen, denen sie ausgesetzt sind“, sagt SHEG-Leiter Wineburg. „Derzeit können wir bewerten, wie junge Menschen mit einem statischen Text umgehen. Aber wir haben noch keine Möglichkeit zu bewerten, wie sie mit den Informationen umgehen, die sie auf der New York Times, Gawker oder BuzzFeed finden.“ Mit neuen pädagogischen Konzepten, die die digitale Realität ins Klassenzimmer holen, soll sich das nun ändern.

Digitalisierung pädagogisch mitdenken

Aber Digitalisierung in der Schule meint eben auch das Lernen – sowohl individuell als auch in der Gruppe – mit Onlineplattformen, Apps oder interaktiven Programmen. Die Khan Academy etwa bietet kostenlose Videos und Übungen an. TedEd kombiniert Videos mit Fragen, Materialsammlungen und Diskussionsanregungen. Die mobile App Quizlet hilft Schülern mit interaktiven Lerntools und digitalen Karteikarten und das Computerprogramm Lautarium fördert Grundschulkinder mit Lese-Rechtschreibstörung. Materialien und Möglichkeiten gibt es in Hülle und Fülle – auch auf Deutsch. Während Kinder und Jugendliche diese digitalen Werkzeuge intuitiv einsetzen, sind Lehrkräfte eher überfordert als inspiriert. Das belegen verschiedene Untersuchungen. Neben einer flächendeckenden schulischen IT-Infrastruktur, technischer Betreuung und Schulungen besteht also die Herausforderung für das Bildungssystem darin, die Digitalisierung pädagogisch mitzudenken, sowie dazu passende „schüsselfertige“ Materialsammlungen und Unterrichtseinheiten für alle Fächer in allen Schulformen zu entwickeln. In Berlin und Brandenburg arbeitet das Landesinstitut für Schule und Medien genau daran.

Schulbuchverlage indes haben das Thema Digitalisierung schon lange im Programm. Der Ernst Klett Verlag etwa ergänzt seine rund 27.000 gedruckten Materialien mit dem Dreifachen an digitalen Angeboten, die vom PDF bis zu digitalen Lernkursen reichen. Dass diese nicht den Weg ins Klassenzimmer finden, habe mit einer vielerorts mangelhaften IT-Infrastruktur zu tun, wie Verlagsleiter Ilas Körner-Wellershaus anlässlich der Bildungsmesse Didacta sagte. Es ist also am Ende eine Frage der technischen Ausstattung, der Lehrkräfte-Qualifizierung und der pädagogischen Konzepte, ob wir in Deutschland die digitalen Wissenslücken schließen und Bildungsbenachteiligung ausgleichen können. Reichen dafür vier Prozent des BIP und ein einmaliger DigitalPakt?

Dr. Tong-Jin Smith
ist Hochschuldozentin und freie Journalistin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Creative Commons Lizenzvertrag
„Mehr als Informatik und Hardware“ von Tong-Jin Smith ist erschienen im CSR MAGAZIN Nr. 33. Der Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert