Die Datenrevolution ist in vollem Gange und verändert unser aller Leben. Die gewaltigen wirtschaftlichen Potenziale der Datenökonomie werden jedoch vor allem in Deutschland bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.
Von Markus Spieckermann (2019)
Die rapide Entwicklung neuartiger Informations- und Kommunikationstechnologien – vom Internet der Dinge über Cloud-Computing bis zu künstlicher Intelligenz – zwingt Unternehmen dazu, traditionelle Geschäftsmodelle zu überdenken und zu erneuern. Die Menge an verfügbaren Daten und Informationen durch intelligente Maschinen, Sensoren, Finanztransaktionen, Social Media und viele andere Quellen nimmt exponentiell zu.
Der Begriff „Datenökonomie“ steht dabei für den Grundgedanken, Daten als Wirtschaftsgut zu verstehen und in eigenständigen Geschäftsmodellen zu monetarisieren. Der Bedeutungsanstieg von Daten als Wirtschaftsgut und Treiber für Innovationen und Wachstum zeigt sich im Transformationsprozess unterschiedlichster Domänen sowohl im Bereich der Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen (B2B) als auch im Bereich der Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Endkunden (B2C). Durch geeignete Analysen können Daten zur Entdeckung neuartiger Zusammenhänge genutzt werden und somit geschäftlichen wie auch sozialen Mehrwert liefern.
Im Folgenden werde ich zunächst näher darlegen, was unter Datenökonomie zu verstehen ist. Anschließend werde ich auf die sich verändernde Rolle von Daten als wirtschaftliche Ressource eingehen, um dann die Potenziale und Herausforderungen für Unternehmen in der Datenökonomie zu skizzieren.
Was ist Datenökonomie?
Unter data economy sind alle Aspekte rund um die Auswertung und wirtschaftliche Nutzung von Daten zu verstehen. Konkret ist dabei der Einfluss der Daten auf die Wirtschaft als Ganzes zu betrachten, was personenbezogene und nicht personenbezogene Daten einschließt. Was die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Nutzung angeht, gibt es entscheidende Unterschiede zwischen diesen beiden Datenformen, da gerade personenbezogene Daten verschiedenen rechtlichen Regelungen, beispielsweise der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), unterliegen und ein verantwortungsvoller Umgang mit diesem sensiblen Datentyp unabdingbar ist. Wertschöpfungsketten im Bereich der Datenökonomie umfassen die Generierung, die Sammlung, die Speicherung, die Verarbeitung und Analyse bis hin zur abschließenden Verwertung oder Löschung der Daten. Entlang der Wertschöpfungsketten kommen digitale Technologien, Methoden und Algorithmen zum Einsatz, die einen Mehrwert aus den Daten realisieren und neue Geschäftsmodelle, Produktionsmöglichkeiten, Prozessoptimierungen und Verbesserungen in der Kundenbindung ermöglichen.
Die Kommerzialisierung und Monetarisierung von Daten ist bereits voll im Gange. Der Begriff der Datenmonetarisierung ist dabei auf den klassischen Handel mit Daten zurückzuführen. Mit dem Wachstum des Internets und insbesondere Social Media und E-Commerce werden immer mehr Adressdaten von Personen und Unternehmen gehandelt. Heute „zahlen“ die Konsumentinnen und Konsumenten (bewusst oder unbewusst) häufig mit ihren Daten im Tausch gegen zusätzliche Dienstleistungen wie individuelle Produktvorschläge, Navigation oder Kommunikationsfunktionen.
Doch mit Datenökonomie sind nicht nur die wirtschaftliche Verwertung und Vergütungsmodelle von personenbezogenen Daten gemeint. Durch die digitale Transformation und die steigenden Datenmengen – bedingt durch Konzepte der Industrie 4.0 und sich bildenden digitalen Ökosystemen in verschiedenen Industriesektoren wie dem produzierenden Gewerbe, der Agrarwirtschaft und vor allem dem Informations- und Telekommunikationssektor – steigt auch die Verfügbarkeit nicht personenbezogener Daten an. Auftrags-, Maschinen-, Prozess- und Transaktionsdaten werden gesammelt, verarbeitet, verwertet und in den digitalen Wertschöpfungsketten monetarisiert.
Die Charakterisierung von Daten als Schlüsselressource lässt sich dabei als Zeichen einer fundamental neuen Wirtschaftsepoche deuten. So wie das Kapital unsere Gesellschaft von der Agrar- hin zur Industriegesellschaft verändert hat, so werden auch Daten unser aller Leben gewissermaßen auf den Kopf stellen – nur dass diese Veränderungen sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich noch tief greifender sein werden. Das autonome Fahrzeug, das selbstständig fährt, oder aber der intelligente Kühlschrank, der eigenständig Milch und andere Produkte bestellt, sind nur zwei lebensnahe Beispiele für viele Veränderungen, die uns bevorstehen.
Daten als wirtschaftliche Ressource
Seit der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung und der Automatisierung von Produktionsprozessen in Unternehmen steigt die Bedeutung von Daten für unternehmerischen Erfolg kontinuierlich an. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren wurden Informationssysteme zur Unterstützung einzelner Unternehmensfunktionen eingesetzt. Warenwirtschaftssysteme dienten beispielsweise der Unterstützung von Lagerprozessen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Suche nach Artikeln im Lagerbestand. Da der eigentliche Wertbeitrag jedoch ausschließlich durch physische Produkte erzielt wurde, nahmen die Daten eine rein unterstützende Rolle ein.
Mit der Verbreitung datengestützter Planungssysteme in den 1980er und 1990er Jahren, die eine bedarfsgerechte und unternehmensweite Planung von Ressourcen ermöglichten, entwickelten sich Daten zum Befähiger des unternehmerischen Geschäftsprozessmanagements. Daten wurden immer mehr zur strategischen Ressource für die Leistungserbringung von Unternehmen, vor allem in den Bereichen Produktion, Service und Logistik. So stellt beispielsweise das sogenannte process mining eine Methodik bereit, um interne Prozesse zu optimieren. Hier ergeben sich insbesondere Potenziale im Bereich der Durchlaufzeiten, der Prozesskosten, der Prozessstabilität, aber auch die Sicherstellung von Compliance-Anforderungen, zum Beispiel was die Einhaltung gesetzlicher Regularien betrifft. Ein anderes Beispiel ist das sogenannte predictive maintenance, also die vorausschauende Wartung von Maschinen und Geräten, die auf der Auswertung von Maschinendaten basiert. Umweltdaten können helfen, Ausfälle vorherzusagen, Stillstände zu vermeiden und damit letztendlich Kosten zu sparen.
Ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel bieten Unternehmen zunehmend Produkte an, deren Existenz überhaupt nur durch die Verwendung großer und qualitativ hochwertiger Datenmengen möglich ist. Beispiele sind Google Maps, das Transportangebot von Uber, die Leasing- und Fleet-Management-Modelle von Hilti sowie viele weitere Smart Services für unsere persönlichen Lebenslagen. In den vergangenen Jahren ist eine Produktisierung der Daten selbst zu erkennen. Der Kauf und Verkauf von Daten auf sich bildenden Datenmarktplätzen oder Plattformen mit entsprechenden Angeboten werden wie bei klassischen Produkten nach standardisierten Volumen- oder Zeiteinheiten angeboten und abgerechnet. Daten sind nicht länger nur Befähiger und Unterstützer anderer Produkte, sondern mittlerweile das Produkt selbst.
Auf dem Weg in die heutige Datenökonomie lassen sich drei unternehmerische Entwicklungsetappen ausmachen. In einem ersten Schritt wurden klassische Geschäftsmodelle um digitale Prozesse erweitert: Unternehmen digitalisierten ihre Vertriebs- und Kommunikationswege durch die Einführung von E-Commerce-Shops und ermöglichten so einen zusätzlichen digitalen Absatz ihres Wertangebots. In einem zweiten Schritt erstreckte sich die Digitalisierung auf die Produkte selbst: Klassische Produkte wie beispielsweise Bohrmaschinen, Bücher, Zahnbürsten oder Fußbälle wurden um digitale Komponenten erweitert, indem Sensorik zur Generierung von Daten und Funktechnologien zur Datenübertragung verbaut wurden. Hierdurch wurde es Unternehmen auch möglich, einen direkten Kundenkontakt nach dem eigentlichen Verkaufszeitpunkt aufrechtzuerhalten und somit individuell zugeschnittene Zusatzdienstleistungen zu verkaufen. In einem dritten Schritt wurden schließlich rein digitale Geschäftsmodelle entwickelt, die sich durch eine rein digitale Wertschöpfung sowie ein rein digitales Wertangebot und Ertragsmodell auszeichnen: Unternehmen in dieser Ebene konzentrieren ihr Kerngeschäft auf den Umgang mit Daten und Informationen. Dies bezieht sich auf die Generierung, Aggregation und Analyse von Daten. Der Besitz und das Eigentum von physischen Vermögensgegenständen, deren Anschaffung und Wartung im Vergleich zu Daten sehr kostenintensiv ist, ist hierfür nicht notwendig, was den entsprechenden Unternehmen ein sehr rasches Wachstum und hohe Skalierbarkeit ermöglicht.
Ein Blick auf die Unternehmensgründungen in Deutschland verdeutlicht dies: Die heutige Start-up-Szene wird klar von digitalen Geschäftsmodellen dominiert. 37,8 Prozent der deutschen Unternehmensgründungen basieren auf Softwareentwicklung und anderen Softwareangeboten, weitere 12,9 Prozent auf anderen digitalen Dienstleistungen. Insgesamt setzen 68,4 Prozent der Start-ups auf digitale Geschäftsmodelle. Wenig überraschend sind die meisten jungen Unternehmen in der Informations- und Kommunikationstechnologiebranche angesiedelt. Doch auch in den Branchen Ernährung und Nahrungsmittel, Medizin und Gesundheit, Automobile, Logistik und Verkehr sowie Freizeit und Sport zeigen die digitalen Geschäftsmodelle das unternehmerische Potenzial der Datenökonomie [1].
Potenziale
Laut dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beträgt das Wertschöpfungspotenzial der Datenökonomie bis 2025 alleine für Deutschland bis zu 425 Milliarden Euro. Betrachtet man ganz Europa, wird dieses Wertschöpfungspotenzial für die nächsten zehn Jahre auf bis zu 1,25 Billionen Euro geschätzt.[2]. Hierbei zeigen sich unterschiedliche Potenziale in den verschiedenen Branchen, jeweils bedingt durch Datenverfügbarkeit und unterschiedliche Reifegrade der digitalen Transformation. So wird beispielsweise im deutschen Groß- und Außenhandel bis 2025 ein Wertschöpfungspotenzial von 14,4 Milliarden Euro erwartet, in der Metall- und Elektroindustrie 15,1 Milliarden Euro und in der Branche der Informations- und Kommunikationstechnologie sogar 17,2 Milliarden Euro.[3].
Der Anteil von Digitalinvestitionen an der Gesamtwirtschaftsleistung liegt in Deutschland bei 25 Prozent, hinter den USA (33 Prozent), dem Vereinigten Königreich (31 Prozent) und Frankreich (26 Prozent). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Ausschöpfung von Digitalisierungspotenzialen. Gemessen an 21 Indikatoren – etwa Unternehmensinvestitionen im Hard- und Softwarebereich, E-Commerce oder Social-Media-Nutzung – liegt der Wert des ausgeschöpften Potenzials in Deutschland bei gerade einmal zehn Prozent. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass auch andere Länder das in der Digitalisierung liegende Potenzial bisher bei Weitem nicht ausnutzen (USA: 18 Prozent, Vereinigtes Königreich: 17 Prozent, Niederlande: 15 Prozent, Frankreich: 12 Prozent).[4].
Auch auf politischer Ebene wird der Datenökonomie in der Europäischen Union großes Wachstumspotenzial zugesprochen: Die EU-Kommission gibt an, dass das Volumen des EU-Datenmarktes 2015 über 54 Milliarden Euro betrug, zugleich geht sie von einem jährlichen Zuwachs um sieben Prozent aus, sodass es bis 2020 schon 84 Milliarden betragen dürfte. Den Wert der EU-Datenwirtschaft insgesamt beziffert die Kommission für 2015 sogar auf 272 Milliarden Euro, bis 2020 erwartet sie ein Wachstum um etwa 133 Prozent auf 634 Milliarden Euro, was im selben Zeitraum mit der Entstehung von 1,4 Millionen neuen Arbeitsplätzen einhergehen könnte.[5].
Entscheidend dafür, ob der potenzielle Mehrwert aus den Daten tatsächlich realisiert werden kann, wird ein intelligenter Umgang mit den Daten sein. Ein wichtiger Faktor zur Ausschöpfung der vorhandenen Potenziale ist der unternehmensübergreifende Austausch von Daten zur Bildung von sogenannten Datenökosystemen. Datenökosysteme zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere Unternehmen an der digitalen Wertschöpfung beteiligt sind und sich neue Verwertungsmöglichkeiten in Form datengetriebener und kundenzentrierter Geschäftsmodelle ergeben, die ein Unternehmen alleine nicht erbringen könnte. Hierbei ist es wichtig, dass alle beteiligten Unternehmen ihre Daten am Markt verfügbar machen, damit am Ende auch alle profitieren können. Dies wird jedoch nur mit geeigneten kontextbezogenen und regulierenden Einschränkungen, speziell für personenbezogene Daten, sowie geeigneten Ertragsmodellen möglich sein, damit ausreichende Sicherheiten und Anreize für die Unternehmen und Personen bestehen, ihren „Datenschatz“ verfügbar zu machen.
Digitale Reife der deutschen Wirtschaft
Das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST Dortmund hat jüngst mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) auf Basis des IW-Zukunftspanels 2018 eine empirische Studie erstellt, um den aktuellen Status der deutschen Industrie und industrienahen Unternehmen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zur Teilhabe an der Datenökonomie zu analysieren. Insgesamt wurden 1235 Unternehmen befragt, um ihren digitalen Reifegrad zu ermitteln.[6]
Die Feststellung des Reifegrades basiert dabei auf den drei aufeinander aufbauenden Dimensionen „Data Resource Management“, „Data Valuation“ und „Data Business“. Die erste Dimension beschreibt die Grundvoraussetzung zur Teilhabe an der Datenökonomie und wird erhoben, indem die unternehmensinternen Strukturen und Prozesse zur Ermöglichung von datenbasierter Wertschöpfung und digitaler Transformation betrachtet werden. Die zweite Dimension beschreibt den wirtschaftlichen und effektiven Umgang mit den Unternehmensdaten. Die dritte Dimension beschreibt die aktive Nutzung und den Austausch von Daten und datenbasierten Produkten über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg.
Die Auswertung der Befragungsdaten mündete in die Einteilung der Unternehmen in sechs Reifestufen. Hierbei wurde festgestellt, dass 84 Prozent der deutschen Unternehmen im Hinblick auf ihre Eignung zur Teilhabe an der Datenökonomie noch einen geringen Reifegrad aufweisen, also allenfalls als „digitale Einsteiger“ gelten können (Stufen 0 und 1). 13,8 Prozent der Unternehmen (Stufe 2) sind „digital fortgeschritten“, das heißt, sie haben die internen Prozesse bereits stärker digitalisiert und die digitale Transformation damit eingeleitet. Nur 2,2 Prozent der Unternehmen sind als „digitale Pioniere“ den zwei oberen Reifestufen zuzuordnen (Stufen 3 bis 5). Sie sehen in Daten die Kernressource ihres Geschäftsmodells und lassen deutliche Fortschritte in den Dimensionen Data Resource Management und Data Valuation erkennen, das heißt, es gibt bereits eine gesteigerte Wahrnehmung von Daten als Vermögenswert und ein Bewusstsein für die Notwendigkeit ihrer monetären und nicht monetären Bewertung.[7]
Weiterhin ergab die Studie, dass fast alle deutschen Unternehmen prognostizieren, dass sich ihre Prozesse innerhalb der nächsten fünf Jahre stärker digitalisieren werden. Etwa zwei von drei befragten Unternehmen erwarten, dass dies eine stärkere Integration externer Daten – etwa von Kunden, Lieferanten oder externen Anbietern – mit sich bringen wird. Der dafür notwendige Handel mit Rohdaten spielt dabei in der Erwartungshaltung der meisten Unternehmen noch eine untergeordnete Rolle. Immerhin 12,9 Prozent erwarten einen stärkeren Zukauf von externen Rohdaten, während nur 6,8 Prozent der Unternehmen den Verkauf von Rohdaten als wahrscheinliche Option sehen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind hier noch zurückhaltend. Bei großen Unternehmen kann sich immerhin fast jedes vierte Unternehmen einen verstärkten Verkauf von Rohdaten vorstellen.[8].
Wirtschaftliche Herausforderungen
Um die gewaltigen unternehmerischen und wirtschaftlichen Potenziale der Datenökonomie zu realisieren, gilt es, verschiedene Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ressource Daten zu meistern. Aus ökonomischer Sicht stellt sich die zentrale Frage, wie Unternehmen Daten intelligent bewirtschaften sollten, um den potenziellen Mehrwert aus ihrer Nutzung tatsächlich abzuschöpfen. In diesem Zusammenhang sind neben einem Bewusstsein über den Bestand an Daten innerhalb eines Unternehmens und den technischen Implikationen für ihre Erstellung, Speicherung, Verarbeitung und Pflege auch organisatorische und betriebswirtschaftliche Herausforderungen zu beachten. Hier geht es um Fragestellungen wie beispielsweise die Zuordnung von notwendigen Rollen und Verantwortlichkeiten für das Management der Daten innerhalb eines Unternehmens, aber auch um die grundsätzliche Fragestellung, wie man Daten eigentlich ökonomisch bewerten kann.
Dass eindeutige Bewertungsverfahren bislang fehlen, liegt vor allem daran, dass Daten sich in ihren Eigenschaften grundsätzlich von materiellen Gütern unterscheiden. Ein wichtiges Charakteristikum materieller Güter ist etwa deren Verschleiß bei der Nutzung. Solche Abnutzungseffekte durch Verwendung in verschiedenen Prozessen und Analysen gibt es bei Daten und Informationen nicht. Zudem werden Güter üblicherweise verbraucht – ein Faktor, der zentral für das Funktionieren unserer Volkswirtschaften ist. Doch auch diese Eigenschaft ist Daten und Informationen nicht zu eigen. Selbst durch Vervielfältigung verlieren Daten nicht an Wert. In diesem Sinne unterscheidet sich auch der Umgang mit diesen digitalen Wirtschafsgütern von dem mit Gütern, die man anfassen kann.
Es gibt durchaus Versuche, Berechnungsverfahren für die Bewertung von Daten zu entwickeln. Bei Online-Plattformen, deren Hauptressource die Daten der Nutzerinnen und Nutzer sind, liegt es nahe, einfach den Unternehmenswert durch die Nutzerzahl zu teilen: Dividiert man zum Beispiel die 26,2 Milliarden US-Dollar, die Microsoft 2016 bereit war, für die Übernahme der Social-Media-Plattform Linkedin zu zahlen, durch die damalige Nutzerzahl von 433 Millionen, ergibt das einen Wert von 60,50 US-Dollar pro Datensatz.[9] Dieser Ansatz hilft jedoch nicht weiter, da er, wenn überhaupt, nur auf Unternehmen anwendbar ist, die ein ähnliches Geschäftsmodell wie Linkedin verfolgen.
Die Bewertung von Daten ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für ihre Monetarisierung und damit für Unternehmen in der Datenökonomie nahezu unerlässlich. Zwar gibt es (noch) keine allgemeingültige Formel, aber die folgenden drei Ansatzpunkte könnten als grundlegende Orientierung weiterhelfen:
Wer als Unternehmerin oder Unternehmer gar keine Idee hat, wie viel die eigenen Daten wert sind, kann sich einem initialen Wert nähern, indem sämtliche Kosten betrachtet werden, die für die Beschaffung beziehungsweise eigene Erstellung, Speicherung, Pflege, Aufbereitung, Verfügbarmachung und Löschung oder Archivierung der Daten angefallen sind. Hieraus lässt sich dann ein Wert für die sogenannten Wiederbeschaffungskosten ermitteln.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist der sogenannte Nutzwert. Hierbei werden nicht die Kosten für die Daten selbst betrachtet, sondern es wird das Potenzial ermittelt, das sich aus der Nutzung der Daten ergibt. So können Faktoren wie Prozessoptimierung und Kosteneinsparungen als Kennwerte herangezogen werden. Dieses Verfahren wird bereits zur Ermittlung anderer immaterieller Vermögenswerte angewendet, beispielsweise bei Lizenzen, Rechten und Patenten.
Gerade in der wachsenden Datenökonomie ergibt sich noch ein dritter Ansatz, den wir sehr gut von anderen Produkten und Dienstleistungen kennen: der Marktansatz. Hierbei müssen sich die Unternehmen die Frage stellen, ob für die von ihnen angebotenen Daten ein Markt existiert und was potenzielle Kundinnen und Kunden bereit sind, für sie zu zahlen. Durch die steigende Verfügbarkeit von Daten auf allen möglichen Plattformen und Marktplätzen gibt es auch immer mehr Vergleichsangebote, die zur Ermittlung eines Marktwertes beziehungsweise eines Referenzwertes genutzt werden können.
Rechtliche Herausforderungen
Was die rechtliche Seite angeht, bewegt sich die Datenökonomie mit all ihren datengetriebenen Geschäftsmodellen noch in einem Ordnungsrahmen aus dem analogen Zeitalter. Eine zentrale rechtliche Frage im digitalen Umfeld ist die nach dem Eigentum und Besitz der Daten. Sie ist aktuell nicht abschließend geklärt und beschäftigt Wissenschaftlerinnen genauso wie Rechtsanwälte in Unternehmen. Je nach Kontext und Branche gelten für verschiedene Datenarten unterschiedliche Verfügungsrechte.[10] Die Frage nach dem Eigentum beziehungsweise den Verfügungsrechten ist für die Unternehmen in der Datenökonomie nicht nur wichtig, um die rechtlich einwandfreie Verwendung interner und externer Daten für neue Geschäftsmodelle sicherzustellen. Sie ist auch entscheidend für die Aufnahme der Datenressourcen in die Bilanz der Unternehmen und der damit verbundenen „Materialisierung“ des Vermögensgegenstandes.
Dies gilt sowohl für personenbezogene Daten als auch für nicht personenbezogene Daten. Während die DSGVO weitgehend regelt, was und vor allem was nicht mit personenbezogenen Daten geschehen darf, ist dies für nicht personenbezogene Daten aktuell unklar. Im Falle der personenbezogenen Daten drohen Unternehmen bei Nichtbeachtung der Regelungen erhebliche Strafzahlungen. Im Falle der nicht personenbezogenen Daten wird derzeit in mehreren Initiativen unter Beteiligung von Ministerien, Unternehmen und Forschungseinrichtungen an Lösungen geforscht, die einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch unter Wahrung der sogenannten Datensouveränität ermöglichen.[11] Datensouveränität ist dabei als die Fähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person zur ausschließlichen Selbstbestimmung hinsichtlich des Wirtschaftsguts Daten zu verstehen. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen oder eine Person selbst bestimmen kann, wer, wann und wofür die zur Verfügung gestellten Daten nutzen darf.
Im Kontext der voranschreitenden Entwicklung und vermehrten Nutzung von künstlicher Intelligenz ergeben sich darüber hinaus auch Haftungsfragen: Wer trägt die Verantwortung beziehungsweise wer sollte haften, wenn ein autonomes System Schäden verursacht? Gerade bei dem oft zitierten Anwendungsfall des autonomen Fahrens spielen maschinelle Entscheidungen und die Haftung dafür eine entscheidende Rolle, was als rechtliche Herausforderung der nächsten Zeit anzusehen ist.
Technische Herausforderungen
Die Datenerfassung erfolgt durch immer mehr technische Systeme und Endgeräte. Neben entsprechenden Geräten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern – Smartphones, Smart Watches oder auch Heimassistenzsysteme wie Amazon Alexa oder Google Home – sind dies vor allem Sensoren an den unterschiedlichsten Maschinen und Systemen des Internets der Dinge. Die daraus resultierende Fülle an Daten, oft unter dem Begriff „Big Data“ zusammengefasst, verlangt letztendlich ständig neue Speicherlösungen.
Daneben müssen die großen Datenmengen verwaltet und gesichert werden, was leistungsstarke Architekturen erforderlich macht, um einen schnellen, agilen und anwendungsorientierten Zugriff zu ermöglichen. Mit den neuen Zugriffsmöglichkeiten und der Bereitstellung der Daten für immer mehr interne und externe Nutzerinnen und Nutzer und Systeme steigt auch die Notwendigkeit, sich vor Cyberangriffen, Datenverlust und Systemausfällen zu schützen.
Eine weitere zentrale Herausforderung ist die Standardisierung, sowohl in Bezug auf Datenmodelle als auch auf Datenaustauschformate. Ohne diese Standards kann das Potenzial der verfügbaren Daten für die neu aufkommenden datengetriebenen Geschäftsmodelle nicht abgerufen werden. Und letztendlich gehört auch das Thema der Datenqualität zu den technischen Herausforderungen. Denn eine hohe Qualität der Daten ist die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt sinnvoll analysiert werden können.
Fazit
Die Datenrevolution ist in vollem Gange und verändert unser aller Leben. Neben den gewaltigen Potenzialen für die wirtschaftliche Nutzung von Daten für neue Geschäftsmodelle, effizientere Prozesse und neue Kundenservices gibt es gleichermaßen Herausforderungen in wirtschaftlicher, technischer und rechtlicher Hinsicht.
Wie meine Ausführungen gezeigt haben, wird das Potenzial bislang jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft, und auch mit Blick auf die verschiedenen Herausforderungen gibt es noch viel zu tun, möchte man mit der internationalen Entwicklung Schritt halten. Der Vergleich mit anderen Ländern verdeutlicht zudem, dass die deutsche Wirtschaft hier zu Lösungen kommen und Themen wie Datensicherheit und Datenschutz, Datensouveränität, Bewertung von Daten und Bildung von Ökosystemen aktiv vorantreiben sollte, um in der Datenökonomie eine gewichtige Rolle spielen und sich gegen die internationale Konkurrenz behaupten zu können.
Fussnoten
[1]: Vgl. Tobias Kollmann et al., Deutscher Startup Monitor 2018. Neue Signale, klare Ziele, Berlin 2018.
[2]: >Vgl. Roland Berger Strategy Consultants/Bundesverband der Deutschen Industrie, Die Digitale Transformation der Industrie. Eine europäische Studie von Roland Berger Strategy Consultants im Auftrag des BDI, München–Berlin 2015.
[3]: Vgl. Kai Lange, Was McKinsey am deutschen Mittelstand vermisst, 17.8.2017, Externer Link:http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-1163125.html.
[4]: Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (Hrsg.), Weißbuch Digitale Plattformen. Digitale Ordnungspolitik für Wachstum, Innovation, Wettbewerb und Teilhabe, Berlin 2017.
[5]: Vgl. Europäische Kommission, Europäische Datenwirtschaft: EU-Kommission stellt Konzept für Daten-Binnenmarkt vor, Pressemitteilung, 10.1.2017.
[6]: Vgl. Boris Otto et al., Data Economy. Status Quo der deutschen Wirtschaft & Handlungsfelder in der Data Economy, Dortmund 2019.
[7]: Vgl. ebd., S. 12–17.
[8]: Vgl. ebd., S. 19.
[9]: Vgl. James E. Short/Steve Todd, What’s Your Data Worth?, in: MIT Sloan Management Review 3/2017, S. 17ff.
[10]: Vgl. Nicola Jentzsch, Dateneigentum – Eine gute Idee für die Datenökonomie?, 30.1.2018, Externer Link:http://www.stiftung-nv.de/de/publikation/dateneigentum-eine-gute-idee-fuer-die-datenoekonomie; Christian Rusche/Marc Scheufen, On (Intellectual) Property and Other Legal Frameworks in the Digital Economy, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW-Report 48/2018.
[11]: Vgl. etwa Boris Otto et al., Industrial Data Space: Digitale Souveränität über Daten, Whitepaper, München 2016.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Autor/-in: Markus Spiekermann für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de