Herausforderungen für die Erziehungswissenschaften
Von Johannes Doll
In der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder grundlegende neue Techniken, die dann in kürzester Zeit das Leben der gesamten Gesellschaft veränderten, sei es das Feuer, die Herstellung von Werkzeugen, die Domestizierung von Haustieren, der Buchdruck, die Verwendung von Dampfmaschinen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dennoch war wohl keine Veränderung so schnell und so tiefgreifend wie die digitale Transformation, die sich in 50 Jahren nicht nur fast auf der ganzen Welt verbreitete, sondern auch praktisch in alle Lebensbereiche eindrang. Von den vielfältigen Herausforderungen, die diese digitale Revolution mit sich brachte, möchte ich in diesem Kapitel einige Aspekte aus der Sicht der Erziehungswissenschaften behandeln.
Die Digitalisierung der Welt verlief so schnell, dass ihre Einführung nicht auf die jüngere Generation beschränkt blieb, sondern praktisch alle Altersstufen betraf, allerdings in unterschiedlicher Weise: Die einen wurden schon hineingeboren, andere kamen im Jugend- und Erwachsenenalter intensiver damit in Kontakt und wieder andere mussten sich mühsam in diese für sie fremde Welt einarbeiten. So möchte ich im ersten Teil meines Kapitels auf die Frage eingehen, was das Zurechtkommen in der digitalen Welt für die verschiedenen Altersgruppen bedeutet oder bedeuten kann. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf damit zusammenhängende Bildungsfragen.
Zur digitalen Welt haben wir Menschen mit unseren Sinnesorganen keinen unmittelbaren Zugang, wir benötigen Instrumente, Computer, Tablet, Handy. Man muss also gewisse technische Kompetenzen haben, um in diese Welt vordringen zu können. Wenn technische Kompetenzen auch eine notwendige Voraussetzung darstellen, so sind sie doch nicht hinreichend, um mit dieser digitalen Welt umgehen zu können. So möchte ich in einem zweiten Abschnitt auf Kompetenzen eingehen, die für ein Zurechtkommen in und mit der digitalen Welt wichtig sind. In einem abschließenden Teil soll dann auf die Konsequenzen für die Erziehungswissenschaften eingegangen werden.
Was bedeutet Zurechtkommen mit der digitalen Transformation für die verschiedenen Altersgruppen?
Das Internet hat in diesem Jahrhundert schnell an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2001 nutzten in Deutschland 37% der Bevölkerung das Internet, aktuell (2020) sind es 88% und unter den 14- bis 49-Jährigen Deutschen sind es fast 100%, während es bei den über 70-Jährigen mit 52% nur etwas mehr als die Hälfte ist. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man die Zeitdauer berücksichtigt, in der im Internet gesurft wird. Während die 14- bis 29-Jährigen im Jahr 2018 täglich durchschnittlich 344 Minuten im Internet unterwegs waren, nutzten Personen ab 70 Jahre täglich nur 37 Minuten das Internet. Trotz der noch geringeren Präsenz älterer Menschen im Internet handelt es sich um eine Gruppe, die rasch wächst. Dieser Zuwachs ist zum einen mit der wachsende Notwendigkeit des Internet für alltägliche Aufgaben zu begründen, vor allem aber auch dadurch bedingt, dass jüngere, interneterfahrene Generationen in die Gruppe der Älteren hineinaltern.
Die rasche Digitalisierung führte nicht nur dazu, dass die Kommunikation und der Zugang zu Informationen erleichtert wurden, sondern viele Aktivitäten des täglichen Lebens verlaufen heute in digitaler Form, seien es Bankgeschäfte, Einkäufe, Umgang mit Behörden, etc.. Ehemals übliche Formen wie persönliches Vorsprechen, am Bankschalter bedient werden oder einen Behördengang erledigen werden zunehmend erschwert oder unmöglich gemacht. Dies führt dazu, dass die Verwendung der digitalen Erledigung von bestimmten Aktivitäten keine Option mehr darstellt, sondern eine Notwendigkeit geworden ist. Wer mit der digitalen Welt gut zurecht kommt, empfindet dies als Vorteil, wer jedoch damit Schwierigkeiten hat, und das sind vor allem die älteren Generationen, erlebt diese Verlagerung der Alltagsaktivitäten in den digitalen Raum als Barriere oder Ausgrenzung.
Die Theorie der Diffusion von Innovation (ROGERS, 2003) kann helfen, diesen Prozess zu verstehen. Demnach hängt die Geschwindigkeit, mit der sich eine neue Technologie verbreitet, von Kommunikationsprozessen über verschiedene Kanäle innerhalb eines sozialen Systems ab. Rogers verweist auf fünf Faktoren, die für diese Verbreitung entscheidend sind: relative Vorteilhaftigkeit, Kompatibilität, Komplexität, Beobachtbarkeit und Testbarkeit. Diese Faktoren können, je nach Bevölkerungsgruppe, unterschiedlich gesehen und bewertet werden, was zu einer zeitlich verzögerten Übernahme einer neuen Technik führt. So unterscheidet Rogers zwischen einer kleinen Gruppe von Vorreitern (Innovatoren), einer etwas größeren Gruppe von frühen Übernehmern, gefolgt von einer nun größeren Gruppe der frühen Mehrheit. Später folgt dann eine ebenfalls große Gruppe der späten Mehrheit, ganz zum Schluss kommen schließlich die Nachzügler. Wenn Rogers auch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Alter und Übernahme von neuen Technologien ausmachen kann, so finden sich doch in der Gruppe der älteren Menschen ein höherer Anteil von späten Übernehmern und Nachzüglern. Dies hat wohl auch stark mit einer persönlichen Technikbiographie zu tun, d.h. wie Menschen in ihrem Lebenslauf mit neuen Techniken in Kontakt kamen und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben. Hiermit wird deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Technikgeneration bedeutende Auswirkungen auf das Umgehen mit der digitalen Welt besitzt[1].
Die Bedeutung der Technikgeneration, d.h. dem Alter, in dem man mit einer neuen Technologie in Kontakt kommt, spielt eine wichtige Rolle für die Einstellung und die Übernahme, was aus einer Sozialisationsperspektive deutlich wird (Berger, Luckmann, 1969). So bedeuten für Kinder, die in die digitale Welt hineingeboren werden, diese und die dazugehörigen Geräte eine objektive, schon gegebene Welt, die als solche nicht Infrage gestellt wird und mit der sie ohne Barrieren und Widerstände umgehen. Für Personen, die als Jugendliche oder junge Erwachsene mit der digitalen Welt in Kontakt kamen, bedeutete dies in aller Regel eine spannende und neue Herausforderung, der sie sich in aller Regel mit Interesse widmeten. Für ältere Menschen, die ihre Technikerfahrungen in der analogen Welt entwickelten, bedeutet das Hereinbrechen der digitalen Welt eine Konfrontation mit ihrem bisherigen Wissen und ihrem bisherigen Technikumgang. Dies kann als Herausforderung verstanden werden, allerdings auch als Bedrohung und Überforderung, da die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Welt doch grundlegend sind. Um diese Entscheidung gerade bei Erwachsenen und älteren Menschen zu verstehen, kann die Sozioemotionale Selektivitätstheorie von Laura Carstensen helfen. In dem von ihr und zwei Mitautoren geschriebenen Artikel „Taking time seriously: A theory of socioemotional selectivity“ von 1999 weist sie auf die Bedeutung der Zeitspanne hin, die Menschen in ihrem Leben noch vor sich haben. Demnach werden ältere Menschen zunehmend selektiver in den von ihnen angestrebten Zielen, wobei sie sich stärker nach Sinn und positiven Emotionen ausrichten, während jüngere Menschen eher Ziele verfolgen, die auf Wissen ausgerichtet sind. Dies hat natürlich einen deutlichen Einfluss auf die Frage, ob sich ältere Menschen noch der Mühe unterziehen, in die digitale Welt einzuarbeiten. Wenn ältere Menschen annehmen, dass Kenntnisse im Umgang mit Computer, Handy oder Tablet ihnen positive Erfahrungen ermöglichen, und wenn sie sich selbst auch für fähig halten, in diese Welt einzusteigen, dann werden sie sich auch dieser Herausforderung zu stellen. Wenn sie aber annehmen, dass der Umgang mit digitalen Geräten gefährlich und von Frustrationen begleitet ist, so werden sie sich dem Zugang klar verweigern. Hier ergibt sich dann auch ein interessanter Ansatz für Bildungsarbeit mit Erwachsenen und älteren Menschen.
Kompetenzen für den Umgang mit der digitalen Welt
Der Umgang mit digitalen Geräten ist kinderleicht geworden, schon Kleinkinder können damit spielen. Braucht es da eigene Kompetenzen für den Umgang mit der digitalen Welt? Mit Sicherheit ja, denn das Bild vom am Tablet spielenden Kind führt schnell zu irrigen Annahmen. Für ältere Menschen ist die Verwendung der digitalen Geräte alles andere als einfach, nicht nur dass die Miniaturisierung der Geräte die Bedienung gerade für Ältere erschwert, auch die sogenannte intuitive Logik ist für jemand, der nicht in die digitale Welt geboren wurde, oft schwer zu verstehen. Doch es geht nicht nur darum, mit digitalen Geräten angemessen umgehen zu können, man muss auch wissen, wie man sich im Internet zurechtfindet, wo man Informationen findet, welche vertrauenswürdig sind, was man mit diesen Informationen anfangen kann und wo im Internet Gefahren lauern. Da das Internet besonders intensiv für Sozialkontakte verwendet wird, muss man auch wissen, wie man damit im Internet umgehen sollte. Es gibt also eine Reihe von Kompetenzen die für ein erfolgreiches Umgehen mit dem Internet benötigt werden. Dazu wurde von der Europäischen Kommission 2013 ein Rahmenmodell zu digitalen Kompetenzen (DigComp) veröffentlicht, welches 2017 überarbeitet und erweitert wurde. In diesem Modell sind fünf Kompetenzfelder beschrieben, die insgesamt 21 Kompetenzen umfassen, wobei für jede Kompetenz 8 unterschiedliche Kenntnisstufen angegeben werden können (Carretero et al., 2017).
Das erste Kompetenzfeld bezieht sich darauf, mit digitalen Informationen umgehen zu können, d.h. Informationen zu finden, zu beurteilen und zu verwalten. Das zweite Kompetenzfeld hebt auf die digitale Kommunikation ab, welches neben der Interaktion mit Hilfe von digitalen Technologien auch Aspekte des Austauschs, der Bürgerbeteiligung sowie angemessene Umgangsformen und die Verwaltung der digitalen Identität umfasst. Im dritten Kompetenzfeld geht es um die Erstellung von digitalen Inhalten, wobei die korrekte Verwendung und Integration fremder digitaler Inhalte dazugehört, ebenso wie Kenntnisse über Urheberrechte. Auch das Programmieren gehört in dieses Kompetenzfeld. Das vierte Kompetenzfeld bezieht sich auf die Sicherheit im Umgang mit digitalen Medien. Dazu gehört natürlich der Schutz der Geräte und der persönlichen Daten und sensible Informationen. Darüber hinaus umfasst es auch den Schutz der eigenen Gesundheit bei der Verwendung digitaler Geräte sowie Aspekte der Nachhaltigkeit, wie z. B. Energiebedarf oder Entsorgung von elektronischen Geräten. Der fünfte und letze Kompetenzbereich bezieht sich schliesslich auf die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, Lösungen oder Zugang zu Hilfen zu finden und auf kreative Weise mit den vielfältigen digitalen Möglichkeiten umgehen zu können, wenn Schwierigkeiten auftauchen.
Dieses Rahmenmodell der Europäischen Kommission zu digitalen Kompetenzen ist ein interessanter Entwurf, das weite Feld des Umgangs mit digitalen Medien zu strukturieren und bietet auch eine interessante Grundlage für das Bildungswesen, sei es im Bereich des formalen Lernens (Schule, Universität), sei es im Bereich der allgemeinen Erwachsenen- und Seniorenbildung. In Ergänzung zu diesem Modell soll hier auf einen älteren Begriff zurückgegriffen werden, den der Medienkompetenz. Dieter Baacke (1996, S. 119) definiert ihn als „… die Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen.“ Dabei besitzt die Medienkompetenz nach Baacke vier Dimensionen: Medienkritik, Medienkunde (Wissen um Struktur der Medienfunktion, Medienbedienung), Mediennutzung und Mediengestaltung. Der Begriff der Medienkompetenz ist also deutlich weiter gefasst, denn es geht darin nicht nur um das Zurechtkommen und den Umgang mit den Medien, in diesem Fall digitale Medien, sondern es geht darin auch um eine Medienkritik und um das Wissen um die Struktur der Medienfuntion. Das heißt, zur Medienkompetenz gehört auch das Verständnis um die Struktur der Medien, in diesem Fall darum, wer die Medien anbietet, welche Funktionen das jeweilige Medium im Kontext der Gesamtgesellschaft übernimmt, welche Entscheidungs- und Machtstrukturen hinter den jeweiligen Medien stecken, etc. Mit anderen Worten, zur Medienkompetenz gehört auch das Wissen um die Rolle und Funktion der Medien im gesamtgesellschaftlichen Rahmen.
Schließlich soll noch ein weiterer Aspekt angesprochen werden, der im Bezug auf das Zurechtkommen mit der digitalen Welt bedeutsam ist, der Umgang mit Emotionen. Beim Handeln des Menschen spielen Emotionen eine wichtige Rolle. Während jedoch lange Zeit rationales und emotionales Verhalten gegeneinander gesetzt wurde, setzt sich heute die Erkenntnis durch, dass Emotionen und rationales Handeln im Grunde eng verbunden sind. Einen wichtigen Impuls lieferte dazu das 1994 erstmals veröffentlichte Buch „Descartes Irrtum“ von Antonio Damásio, einem portugiesischen Mediziner und Neurowissenschaftler, in dem er darauf hinweist, dass das Fehlen von Emotionen praktisch das Handeln blockiert und dass Emotionen und rationales Denken zusammengehören. So kommt Damásio zur Schlussfolgerung, dass die Emotionen Teil des rationalen Denkens sind und tatsächlich in gewissen Momenten das rationale Denken ersetzen, vor allem, wenn schnelles Handeln zum Überleben notwendig ist. Entwicklungsgeschichtlich ist nach Damásio das rationale Denken eine Erweiterung des emotionalen Systems, das aber auf demselben aufbaut und es auch weiterhin braucht, um sensibel für Wahrnehmungen unserer Körperlandschaft zu sein und Informationen in detaillierter Form im Gedächtnis präsent zu halten (Damásio, 2004). Somit werden rationale Entscheidungen von Emotionen getragen und damit beeinflusst, wobei Emotionen eben keine automatischen Reflexe sind, sondern kondensierte Erfahrung darstellen, also im Lebenslauf gelernt wurden. Dabei hängt nach Damásio die Qualität unserer Intuition, die auf Emotionen basiert, davon ab, wie gut in der Vergangenheit Erlebnisse und Erfahrungen mit Intuitionen reflektiert wurden, d.h. kognitiv aufgearbeitet wurden.
Was haben aber nun Emotionen mit dem Zurechtkommen in der digitalen Welt zu tun? In Wirklichkeit, überraschend viel. Tatsächlich handelt es sich um ein ausgesprochen weites Feld, das in Zukunft mit Sicherheit noch zu vertiefen sein wird. Hier sollen drei Forschungsrichtungen angesprochen werden, die sich mit Fragen der Emotionen im Internet beschäftigen. Im erziehungswissenschaftlichen Bereich interessiert unter anderem, inwieweit Emotionen das E-Learning beeinflussen, wobei in aller Regel auf zwei Emotionsgruppen hingewiesen wird (Königsstein et al., 2018), zum einen positive, d.h. das Lernen förderliche Emotionen wie Interesse, Neugier und Erfolgserlebnisse, wie sie durch multimediale Lernumgebungen, Computerspiele oder auch direktes Feedback hervorgerufen werden können. Dagegen werden beim E-Learning aber auch negative, d.h. das Lernen behindernde oder blockierende Emotionen genannt, wie Angst, Unsicherheit, Langeweile oder Einsamkeit, die gerade beim schnellen und oft ungeplanten Umstieg auf das Distanzlernen, hervorgerufen duch die Pandemie, beobachtet werden konnten (Grein, 2020).
Doch auch andere Forschungszweige interessieren sich für die Emotionen in der digitalen Welt, wie z. B. die Marketingforschung, die durch hochspezialisierte Forschungsstrategien wie Eye Tracking und Affective Computing versuchen herauszufinden, auf welche Weise eine User Experience (d.h. eine ganzheitliche emotionale Produktbewertung) zustande kommt (Hahn et al., 2020). Gerade an diesem Punkt stellen sich erhebliche ethische Fragen. Während Werbung und Produktinformation sicherlich berechtigt sind, ist es nicht unproblematisch, wenn auf ausgeklügelte Art und Weise über den Bereich der Emotionen (affective Computing) Menschen zu einem bestimmten (Kauf-)Verhalten gebracht werden sollen. Sicherlich, diese Diskussion ist nicht neu (Schweppenhäuser, 2021), gewinnt aber im Zusammenhang mit den neuen, erweiterten Möglichkeiten des Internet – invasive Werbung – und der vielen Stunden, die heute Menschen im Internet verbringen, eine neue Dimension.
Schließlich soll noch auf einen dritten Aspekt der Emotionen im Bezug auf die digitale Welt eingegangen werden, die Frage wie sich Mensch unter den spezifischen Bedingungen der digitalen Welt verhalten und welche Auswirkungen dies auf soziale Beziehungen und auf das Erleben im Internet wie auch in der realen Welt haben kann. Exemplarisch soll hier auf Thomas Wehrs‘ Buch „Störfall Mensch“ hingewiesen werden, indem er aufzeigt, wie die digitale Welt und vor allem die Sozialbeziehungen in den sozialen Medien sich auf das Verhalten der Menschen auswirken. Und die Auswirkungen sind enorm, wobei sie vor allem auf der emotionalen Basis ablaufen: Tendenzen zu Vereinzelung, Anonymisierung, Flucht vor realen Problemen in eine Pseudowirklichkeit der standardisierte Gefühlswelt.
Herausforderungen für die Erziehungswissenschaften
Aus dem bisher Angeführten ergeben sich eine Reihe von Herausforderungen für die Erziehungswissenschaft. So stellt das Rahmenmodell der Europäischen Kommission zu digitalen Kompetenzen (DigComp) sicherlich eine interessante curricular Basis dar, welche im Bildungssystem angepasst an die jeweiligen Altersstufen umgesetzt werden kann und muss. Dabei darf es jedoch nicht nur um technische Informationen gehen, sondern der angemessene Umgang mit der digitalen Welt umfasst auch das Kennen und Beherrschen von Umgangsformen, das Wissen um Gefährdungen und Gefahren, ein Verständnis um wirtschaftliche und politische Strukturen des Internet und schließlich das kompetente Umgehen mit den eigenen Emotionen.
Zweifellos ist es wichtig, durch Bildungsmaßnahmen zu einer Befähigung im Umgang mit der digitalen Welt hinzuführen, da Menschen ohne Internetkenntnisse in den meisten Ländern der Welt in ihrer sozialen Teilhabe eingeschränkt sind. Dabei sind je nach Lebensalter und konkreter Lebenssituation unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Dies bezieht sich zum einen auf spezielle Interessen in den verschiedenen Altersgruppen, wobei es natürlich auch Überschneidungen gibt. So ist eine Inklusion älterer Menschen besonders bedeutsam, nicht nur, weil sie die Gruppe mit der geringsten Internetbeteiligung sind, sondern auch weil neben der sozialen Teilhabe und gesellschaftlichen Beteiligung der Umgang mit der digitalen Welt auch eine Kompensationfür im Alter auftretende Funktionseinbußen bedeuten kann, wie z.B. reduzierte Mobilität. Die in den 1990er Jahren entwickelte Gerontechnologie greift in vielen Bereichen die hierin liegenden Möglichkeiten auf (Harrington, Harrington, 2000).
Während ältere Menschen in aller Regel im Lebenslauf gelernt haben, mit ihren Emotionen zurecht zu kommen (Lantrip, Huang, 2017) und diese Erfahrungen dann auch auf den Umgang mit dem Internet anwenden können, befinden sich Jugendliche und Kinder in einem sensiblen Bereich des Entwickelns vom Umgang mit Emotionen (Klinkhammer, von Salisch, 2015). Daher müssen Bildungsmaßnahmen mit dieser Altersgruppe einen stärkeren Akzent auf emotionale Aspekte legen, sowohl was die Wahrnehmung und den Umgang mit eigenen Gefühlen und die der anderen angeht, aber auch auf die Gefahren von emotional geladenen Appellen, sei es der Werbung, sei es von bestimmten Interessengruppen. Schließlich ist gerade auch in diesem Alter wichtig, dass Kindern und Jugendlichen die Unterschiede zwischen der digitalen und der realen Welt deutlich ins Bewusstsein gehoben wird,
Literatur
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Anmerkungen
[1] Zur Vertiefung der Bedeutung von Technikgenerationen für den Umgang mit der digitalen Welt, siehe Claßen, 2013.
Prof. Dr. Johannes Doll
Dipl.-Theol., Dipl.-Päd. , Dipl.-Geront., Dr. phil. Professor für Allgemeine Didaktik an der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul, Porto Alegre, Brasilien. Forschungsschwerpunkt Bildung und Altern.
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Der Text ist zuerst erschienen im „Kompendium Digitale Transformation„.