Die Impact factory
„Was wir machen, das machen wir aus Leidenschaft“, sagt Dirk Sander. Er und sein Kollege Oliver Kuschel sind Gesellschafter der gemeinnützigen Anthropia GmbH. Gewinnausschüttungen und Spitzenlöhne sind aufgrund der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen. Aber darum geht es nicht, sondern um gesellschaftliche Impulse, die Anthropia verstärken will.
Von Achim Halfmann
Dass sich die Büroräume der Gesellschaft auf dem Haniel-Gelände in Duisburg befinden, ist kein Zufall: Gemeinsam mit Haniel beschäftigt Anthropia die Frage, was Start-ups mit gesellschaftsrelevanten Geschäftsideen brauchen, um sich am Markt zu bewähren. Und so entstand die Impact Factory als eine Initiative der Beisheim Stiftung, des Unternehmens Franz Haniel, der KfW Stiftung und Anthropia. Als weitere Partner sind Der Paritätische NRW und die Wilo-Foundation mit an Bord.
Nun ist die Impact factory nicht der erste Brutkasten – Inkubator – für Start-ups, die sich sozialen oder ökologischen Herausforderungen stellen. Bekannt sind die Social Impact Labs, von denen es eines auch in Duisburg gab. „Im Duisburger Social Impact Lab haben wir Start-ups in der Frühphase bis zur Entwicklung eines Geschäftsmodells gefördert“, sagt Dirk Sander. „In der Impact factory bleiben wir länger dran und begleiten auch die oft kritische Markteintrittsphase.“ Um Missverständnisse zu vermeiden, taucht im Namen des neuen Duisburger Inkubators der Begriff „Social“ nicht auf.
Gesellschaftsrelevante Start-ups gehen häufig mit digitalen Fördermodellen an den Start. Für die erste Förderrunde der Impact Factory bewarben sich 2018 insgesamt 60 Unternehmensgründungen, 17 wurden in das Programm aufgenommen – acht davon mit digitalen Geschäftsmodellen.
Start-ups wie das Duisburger Unternehmen ichó systems, das im Gesundheitswesen mit einem neuartigen Produkt zur Förderung dementer Patienten unterwegs ist: einem interaktiven programmierbaren Ball. Lieblingsmusik, Hörspiele, Rätselfragen – das sogenannte „MedToy“ reagiert auf Drücken oder Rollen, kann patientenbezogen programmiert und in der Einzel- oder Gruppentherapie eingesetzt werden.
ichó entwickelt Med-Toy
Am Anfang der ichó-Gründung standen persönliche Betroffenheit. Steffen Preuß, Geschäftsführer des Unternehmens und einer der beiden Gründer, sagt: „Die Idee ist entstanden, als unsere Großeltern an Demenz erkrankt waren. Wir hatten eine enge Beziehung zu ihnen und waren mit den Behandlungsmöglichkeiten, die ihnen angeboten wurden, nicht zufrieden.“ In einem interdisziplinären Hochschulprojekt lernten sich die Jungunternehmer kennen und hier entstand eine Produktidee, die den Rahmen eines Projektes bald sprengte. „Das verschlingt Euer ganzes Taschengeld“, erhielt Preuss als Feedback von seinen Professoren und ihm wurde klar: „Neben einem guten Zweck brauchten wir ein Geschäftsmodell, das sich als tragfähig erweisen konnte.“. Dirk Sander lernte die Jungunternehmen im April 2016 bei einem Pitch im Social Impact Lab Duisburg kennen und wurde deren Mentor.
Bei den Entwicklern von ichó waren medizinische Kenntnisse, Designideen und Programmierkenntnisse gefordert. „Wir haben ein gutes Hardware-Produkt, aber die Idee dahinter ist digital“, sagt Preuß. Programmierer für die Mitarbeit zu gewinnen, erweist sich gerade für digitale Start-ups als Herausforderung; Sander: „Programmierer sind selten und teuer“. Für den erfolgreichen Markteintritt eines neuen Produktes braucht es ebenso Zugänge zu möglichen Abnehmern – hier hat „Der Paritätische“ unterstützt – und die Möglichkeit zu Tests in zukünftigen Märkten.
„Ein Start-up braucht Visibilität und muss seine Story erzählen können“, sagt Sander. Ichó wurde von Amerikanern gecastet und bereits 2016 zu einer Ausstellung nach Washington eingeladen. Möglich wurde das auch, weil Förderer das Geld für den Flug in die Staaten und den Marken- und Produktschutz dort zur Verfügung stellten. 2017 ging es weiter zu einer ähnlichen Veranstaltung in Den Haag und die ersten Sponsoren kamen an Bord.
Heute wird das junge Unternehmen mit einem Marktwert zwischen vier und sechs Millionen Euro taxiert – und steht vor denselben ethischen Herausforderungen, die sich anderen Digitalunternehmen stellen. Preuß sagt: „Die ethische Komponente kommt da ins Spiel, wo es um das Interesse unserer Geldgeber an den Daten geht.“ Der interaktive Ball kann Daten wie den Tremor oder die Druckintensität seiner Nutzer erfassen, und diese Daten sind für Krankenkassen, Pharmakonzerne und Forschungseinrichtungen interessant.
Wie reagiert ein junges Unternehmen auf solche Herausforderungen? Preuß: „Wir wollen den Weg der maximalen Transparenz im Umgang mit den erhobenen Daten gehen. Was passiert damit? Wo werden sie gespeichert? Mit wem werden sie geteilt? Aber maximale Transparenz heißt nicht zugleich maximale Kontrolle.“ Im Zentrum stehe der Schutz der gesundheitlich eingeschränkten Menschen, die ichó nutzen.
Das Beispiel von ichó zeigt, was Start-ups brauchen und was die Impact Factory bietet: fachliches Coaching, weitreichende Netzwerke und Zugang zu finanziellen Ressourcen. Das Förderprogramm des Duisburger Inkubators gliedert sich dabei in drei Phasen.
Drei Phasen
Bei Create-Up -Phase 1 – geht es die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Prototypen. Die Impact factory unterstützt mit zweiwöchigen meet+work-Sessions und Experten. „In den digitalen Start-ups finden sich mitunter technikverliebte Nerds, die den Blick auf ihre Kunden schärfen müssen“, sagt Sander. Deshalb ist der Test der Hypothesen gegenüber potenziellen Kunden wichtig; „fail first“ heißt aus Fehlern zu lernen.
Bei Scale-Up – Phase 2 – geht es um den Markteintritt. Hier sind eine Marketing-Strategie, ein belastbarer Businessplan und Vertriebsvorbereitungen gefordert. „In dieser Phase trennt sich die Spreu vom Weizen“, hat Sander beobachtet. Die Impact factory unterstützt mit Vertriebskontakten und kleineren finanziellen Subventionen.
Dann folgt – als Phase 3 – die Master-Challenge oder das Fellow-Programm. Die Impact factory bietet den jung am Markt agierenden Unternehmen Coworking-Spaces, eine Geschäftsadresse, Räume für Kunden-Gespräche und Seminare, den Zugang zu ihrem Netzwerk sowie Schulungen etwa zu Rechts- oder Finanzierungsfragen.
Bei der Förderung der Start-ups geht es nicht darum, Jungunternehmer oder Investoren reich zu machen. „Wir wollen die Wirtschaft verändern“, sagt Sander.
„Expertise und Netzwerke für digitale Start-ups“ von Achim Halfmann ist erschienen im CSR MAGAZIN Nr. 33. Der Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.