Wir müssen Nachhaltige Bildung immer stärker ganzheitlich sehen und mit Entrepreneurship und Digitaler Transformation nicht nur vernetzen, sondern viel stärker integrativ denken. Nur so kann Hochschullehre in Zukunft echte gesellschaftliche Wirkung erzielen.
Von Martin Kreeb und Thomas Osburg
Klimawandel, Arbeitspraktiken, Korruption und andere Nachhaltigkeitsthemen sind Fragen, an denen die Stakeholder von Unternehmen massives Interesse haben. Führungskräfte bemerken, dass Greenwashing-Strategien höchste Reputationsrisiken bergen, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. First-Mover Pionierunternehmen und StartUps zeigen vielfach, dass Nachhaltigkeit kein Kosten- sondern ein Erfolgsfaktor ist. Die Lebensmittelbranche, die Textilbranche und die Automobilbrache haben solche Erfolgsbeispiele.
Nachhaltigkeit als Transformationstreiber
Diese massiven Veränderungen hinterlassen auch in der Lehre ihre Spuren. In dieser VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) von Veränderung und Transformation hin zu Nachhaltigkeit ist es nicht einfach herauszufinden, wo der Anfang einer akademischen Transformation ist. Wo setzen wir einen sog. „stake-in-the-ground“ und fokussieren uns dann auf transformationale Elemente des zu betrachtenden Gegenstandsbereich.
Hochschulen haben den Auftrag, zukünftige Führungskräfte für Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft auszubilden. Dabei stehen verantwortungsbewusstes Management, die Forderung einer Kultur des Dialogs und die aktive Beteiligung am Aufbau einer lebenswerten Zukunft seit jeher im Fokus. Wirtschaftsethik, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung spielen in allen Handlungsfeldern eine wichtige Rolle.
Auf der anderen Seite wächst aber gleichzeitig die Erkenntnis, dass bisherige Ansätze evtl. nicht ausreichend sind. Klassische CSR- oder Nachhaltigkeitsstudiengänge haben die bisherige Entwicklung in Unternehmen meist sehr gut integriert und abgebildet, aber korruptes Verhalten bei Politikern und Managern (Beschaffung von Schutzmasken, Dieselaffäre usw.) im Sinne eines „moral hazards“ wirft die Frage auf, ob das bisherige Modell noch ausreicht, um Reputation und Glaubwürdigkeit in den jeweiligen Unternehmen wirksam zu schützen.
Die Covid-19 Pandemie könnte sich – historisch gesehen – im akademischen Umfeld als ein Tipping-Point erweisen, denn ‚ethisches‘ Verhalten steht wieder vermehrt im Mittelpunkt der Diskussion.
Inhaltliche Transformation ist nötig
Die in den letzten beiden Jahren von uns allen erlebte Transformation im Bildungswesen war enorm. Kaum einer hätte die Geschwindigkeit der Digitalen Transformation bei Schulen und Hochschulen für möglich gehalten. Es ist allerdings auch festzuhalten, dass diese Transformation im Bildungswesen sich vor allem auf die Form der Lehre und des Unterrichts bezog, von analog zu digital und möglichweise hin zu andauernden Hybrid-Modellen. Schüler, Studierende und Lehrkräfte erlernten neue Skills der Präsentation, der Kollaboration und der Integration von HomeOffice oder HomeSchooling in ihre täglichen Abläufe.
Was jedoch noch wenig geschah, war eine ähnlich starke Beschäftigung mit der Weiterentwicklung und Transformation aus inhaltlicher Sichtweise. Exemplarisch soll hier Nachhaltigkeit im universitären Umfeld betrachtet werden:
Eine wirklich nachhaltige Wirtschaft wird je nach Branche unterschiedlich aussehen. In der Landwirtschaft bedeutet dies die Beseitigung der Armut in Kleinbauerngemeinschaften, eine Steigerung der Produktivität, um mit der wachsenden Bevölkerung Schritt zu halten, und umweltschonende Praktiken. Für Automobilunternehmen bedeutet dies wahrscheinlich die vollständige Einführung autonomer Fahrzeuge, die mit sauberer Energie betrieben werden, wobei ein Sharing-Modell eine hohe Fahrzeugauslastung ermöglicht. Im Finanzbereich wird die Investorengemeinschaft Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG) vollständig in ihren Anlageansatz einbeziehen. Die EU-Taxonomie steht hier in den Startlöchern. Der EU Green Deal ebenfalls.
Kaum ein erfolgreiches Unternehmen würde sich anmaßen, alle diese Themen organisatorisch in einer einzelnen Abteilung zu verankern. Nachhaltige Unternehmensführung betrifft alle Unternehmensbereiche und wird organisatorisch entsprechend abgebildet. Hier liegt der Ansatzpunkt zu einer notwendigen Transformation von Nachhaltigkeit in fast alle Studiengänge und Initiativen von Hochschulen. Gefordert ist eine stärkere inhaltliche Transformation der Lehre und Forschung, eine Öffnung und Integration hin zu nachhaltigen Themen.
Erste Ansätze sind erkennbar: Neben einzelnen Studiengängen, die sich explizit mit dem Thema Nachhaltigkeitsmanagement auseinandersetzen und derzeit eine Neuausrichtung erfahren, ist aktuell eine Transformation in vielen Modulbeschreibungen und Prüfungsordnungen festzustellen, die eben diese Komplexität akzeptiert und transformative Ansätze zu mehr Nachhaltigkeit in einer Vielzahl von Studiengängen aufnimmt. Und auch die Pandemie als solche ist seit dem Frühjahr 2020 in vielen Lehrveranstaltungen durch Fallstudien und Projektarbeiten omnipräsent.
Die SDG‘s als übergreifender Handlungsrahmen
Seit dem Jahr 2015/2016 sind die Sustainable Development Goals (Nachhaltigkeitsziele) der UN zu einem universell anwendbaren Rahmen für Organisationen, Firmen und Institutionen geworden. Die unternehmerischen Strategien strukturieren sich häufig anhand dieser 17 Oberziele und bilden zunehmend die Basis für organisatorische Unternehmensentscheidungen, Corporate Communication und Innovationsstrategien. ‚SDGs als Basis für Innovationen‘ ist inzwischen oft zu hören. Die Unterzeichner der UN-Grundsätze für verantwortungsbewusstes Investieren machen mittlerweile mehr als die Hälfte des institutionellen Vermögens der Welt aus, und Großinvestoren wie Black Rock fordern Unternehmen auf, einen sozialen Zweck zu erfüllen. Dies wäre nicht der Fall, wenn hier kein Geschäftsmodell erkennbar wäre.
Hieraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, welche Rolle die SDG’s in der akademischen Ausbildung spielen (sollen). Während Unternehmen diese immer stärker als Treiber einer einheitlichen Strategie verstehen, findet an Hochschulen zwar eine immer stärkere Beschäftigung mit diesen und ähnlichen Ansätzen statt, allerdings geschieht dies eher divers und vermittelt kaum ein einheitliches Bild nachhaltiger Entwicklung entlang der SDG’s (s. Abb. 1)
Abb. 1: Integration der SDG‘s (eigene Darstellung)
Nachhaltigkeit als zentrales Element und Treiber der Curriculum-Gestaltung
Während Nachhaltigkeit von Unternehmen also inzwischen als Kern der Unternehmensstrategie verstanden wird, ist im Bereich der Hochschullehre an vielen Universitäten noch Spielraum für eine stärkere Verzahnung. Dabei geht es am Anfang nicht um organisatorische Änderungen, sondern um das Verständnis von Nachhaltigkeit für die ganzheitliche Bildung an der Hochschule: Vom „Rahmenfaktor“ in vielen Studiengängen hin zum „Treiber“ der Entwicklung. (s. Abb.2)
Abb. 2: Nachhaltigkeit als Treiber zahlreicher Curricula (eigene Darstellung)
Dies erfordert den Aufbau einer zentralen Nachhaltigkeitsstrategie für die Lehre, die zentrale Bedeutung für die Ausgestaltung anderer Studiengänge hat. Beispielhaft sollen vier Studiengänge kurz exemplarisch betrachtet werden, inwieweit ein übergreifendes Verständnis von Nachhaltigkeit an der Hochschule – im Hinblick einer dominanteren Rolle von Nachhaltigkeitsthemen – zu ermöglichen ist. Analog zu diesen ersten Impulsen haben diese für fast alle Studiengänge eine hohe Relevanz.
Entrepreneurship – gerade StartUps fokussieren sich zunehmend darauf, nachhaltige Unternehmen aufzubauen. Es geht nicht so sehr um ‚irgendetwas‘ gründen, sondern um die Entwicklung sinnvolle Lösungen für die Gesellschaft. Damit könnte sich Entrepreneurship immer weiter zum Themenfeld Social Entrepreneurship an Hochschulen entwickeln.
Innovationsmanagement als Teil des Nachhaltigkeitsmanagements – Neue Produkte und Lösungen entstehen oft mit Hilfe des Einsatzes eines Stage-Gate-Prozesses (Entwicklung von Auswahlkriterien für neue Ideen). Dabei wird der Erfolg oder Misserfolg einzelner Ideen durch Auswahlkriterien (oft: Umsatz, Profit, Reputation) bestimmt. Das Ändern dieser Kriterien (z.B. in: Social Impact, Unterstützung der Klimaziele, Diversity) führt zwangsläufig zu anderen Investitionsentscheidungen.
Nachhaltigkeitsmarketing – Unternehmen, vor allem KMUs, tun sich immer noch relativ schwer, ihre Erfolge des Nachhaltigkeitsmanagements zu kommunizieren und innovative, nachhaltige Produkte im Markt zu platzieren. Dabei geht es vom Vermeiden des Greenwashing hin zu wesentlicher Ergebnissen im Bereich der Produktneuentwicklung, die für die Kunden relevant („From Marketing to mattering“) sind.
Digitale Transformation – Aktuell stehen Themen zur Digitalen Transformation ganz oben im Interesse der Unternehmen und auch Studierenden. Oft geht es jedoch entweder um Technologien an sich oder das Geschäftsmodell dahinter. Ein früher Fokus auf die Integration von gesellschaftlich relevanten Themen (welchen Sinn hat diese Digitalisierung für die Menschen und Kunden) ist aber unbedingt nötig und von höchster Relevanz.
Conclusio
Die letzten Jahre und Jahrzehnte haben zahlreiche Änderungen an Hochschulen im Hinblick auf Nachhaltigkeit gesehen. Studiengänge wurden geschaffen und der Dialog mit der Praxis wurde gesucht. Nun allerdings stehen Hochschulen vor neuen Transformationen: Die ganzheitliche und integrative Sichtweise ihres Nachhaltigkeitsverständnisses in eine Vielzahl von Studiengängen. Nachhaltigkeit wird so von einem Rahmenfaktor in den einzelnen Modulbeschreibungen zu einem zentralen Treiber. Dies erfordert Mut und Ausdauer, solch ein zentrales Hochschulverständnis für Nachhaltigkeit zu schaffen.
Die Hochschule Fresenius hat sich bereits dieser Transformation angenommen und ihre Ziele in dem integrativen Ansatz beschrieben. Dabei werden nicht nur aktuelle Initiativen beschrieben, sondern dieses Dokument ist auch ein zentrales Element zur Transformation hin zu verstärkter Nachhaltigkeit in Studiengänge.
Prof. Dr. Martin Kreeb
ist Studiendekan für Sustainability Management & Leadership (M.A.), Studiendekan Immobilienwirtschaft (B.A.) und Studiendekan General Business Management (MBA) an der Hochschule Fresenius, München. Desweitern ist er Energie- und Nachhaltigkeitsberater der COGNOS AG.
kreeb@hs-fresenius.de
Prof. Dr. Thomas Osburg
ist Studiendekan Mobilitätswirtschaft (B.Sc.) und lehrt Sustainability, Innovation und Digitale Transformation an der Hochschule Fresenius, München.
thomas.osburg@hs-fresenius.de
„Die Rolle von Academia in Zeiten der Transformation“ von Martin Kreeb und Thomas Osburg ist erschienen im CSR MAGAZIN Nr. 36. Der Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.