Die Open-Bewegung

Foto: Amina Filkins auf Pexels

Teilen macht reich und prominent

Die Open Source-Bewegung ist nicht neu. Mit der zunehmenden Digitalisierung nimmt aber nicht nur das Thema quelloffene Software an Fahrt auf: Das Teilen von Ressourcen gewinnt zugleich in vielen anderen Bereichen an Bedeutung.

Von Achim Halfmann

Die Software-Entwicklung für selbstfahrende Fahrzeuge ist ein gutes Beispiel für ein modernes Open-Source-Anwendungsgebiet. Hier müssen international und Hersteller-übergreifend Standards entwickelt werden. Und das will die 2009 gegründete „Genivi Alliance“ leisten, zu der aus Deutschland die BMW Group und Daimler gehören.

Ähnliches geschieht im Schienenverkehr: Hier ist das openETCS-Projekt angetreten, die Entwicklung von Sicherheits-Software für die Eisenbahnen europaweit zu unterstützen. ETCS steht dabei für „European Train Control System“. Was hier – unter Beteiligung der Deutschen Bahn – an Software entwickelt wird, soll sicher und zugleich kostengünstig sein.

Open Source – quelloffene, beliebig verbreitbare Software – bildet dabei nur einen Bereich der „Open“-Bewegung. Open Science (eine möglichst offen zugängliche Wissenschaft), Open Data (frei nutzbare Daten in Verwaltung und Privatwirtschaft), Open Access (offen zugängliche wissenschaftliche Literatur) und Open Educational Resources (weiter- verbreitbare und umgestaltbare Bildungsmaterialien) gehören ebenso zu dieser Bewegung.

Ein Beispiel für Open Science und Open Data bietet das Pharma Probe Programm von Bayer. In diesem Programm werden hochselektive chemische Sonden – sogenannte Probes – Wissenschaftlern in aller Welt zur Verfügung gestellt. Die mit den Probes generierten Daten wiederum werden in einer öffentlichen Datenbank gespeichert. Längst beschäftigen sich nicht nur Unternehmen, sondern auch ihre Verbände mit den Chancen der Open-Bewegung.

Antwort auf Fachkräftemangel

So gibt es beim Digitalverband Bitkom einen Arbeitskreis „Open Source“. Frank Termer leitet im Verband den Bereich Software. „Open Source ist auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel im IT-Bereich, indem Unternehmen bei der Softwareentwicklung auch auf die Community setzen“, sagt Termer. Dabei sollten Unternehmen allerdings nicht nur aus den Entwickler-Gemeinschaften einen Nutzen generieren wollen. „Zu Open Source gehören immer zwei Dinge: Die Nutzung quelloffener und kostenfreier Software ist das eine. Wer von Open Source profitiert, sollte auch etwas an die Gemeinschaft zurückgeben, eigenes Wissen teilen und an Entwicklungen mitwirken.“

Und schließlich sind Marktzugänge für Open-Source-Entwicklungen wichtig. Bei einem der größten Einkäufer sieht der Software-Experte Handlungsbedarf: „Der öffentlichen Hand fällt es teilweise noch schwer, bei Ausschreibungen Open Source-Software gleichwertig zu berücksichtigen. Oft sind es die Details in den Ausschreibungen, die Open Source- Software herausfallen lassen“, sagt Termer und ergänzt: „Manchmal fehlt es Einkäufern an Grundwissen über Open Source, hier muss noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden.“

Unternehmen, die sich erstmals mit dem Thema vertraut machen wollen, rät Termer zum Besuch entsprechender Veranstaltungen: „Konferenzen bietet einen guten ersten Zugang zum Thema Open Source. Hier begegnet man den wichtigen Themen und kann Kontakte in der Community knüpfen.“

Geben und Nehmen

Um die vom Bitkom-Experten angesprochene Kultur des Gebens und Nehmens steht es noch nicht zum Besten, ist Daniel Clerc überzeugt. Der Gründer der Technikberatung netzguerilla.net und freie Softwareentwickler verbringt 90 Prozent seiner Arbeitszeit mit Open Source-Software. „Viele Firmen nutzen freie Software – und spielen nur wenig in die Gesellschaft zurück. Da gibt es ein deutliches Missverhältnis zwischen Nutzern und Aktiven“, sagt Clerc. Dabei könnte ein Giving back ganz klein anfangen. „Ein erster wichtiger Schritt wäre die Beteiligung an der Fehlerbehebung: Das fängt damit an, Fehler zu dokumentieren und in die Community zurückzuspielen.“ Clerc mahnt: „Auf keinen Fall sollten Firmen ihre Mitarbeiter maßregeln, wenn sie sich aktiv in der Community engagieren.“

Größere Firma dagegen könnten zum Beispiel den Top-Programmierer eines großen Open Source- Projektes für ein Jahr anstellen und dadurch seine Arbeit unterstützen, so Clerc weiter. Zudem engagierten sich IT-Konzerne über eine Mitgliedschaft in der Open Source-Foundation und über das Sponsoring entsprechender Tagungen und Konferenzen.

„Natürlich kann ein Unternehmen nicht alle Softwarecodes veröffentlichen“, weiß auch Clerk. „Aber es kann über das reden, was es gerade entwickelt, es kann Entwicklungen mit einem zeitlichen Abstand als Open Source freigeben und es kann vor allem kenntlich machen, wenn in seinen Entwicklungen freie Softwareanteile stecken.“

CSR-Thema mit Zukunftspotential

Aus dieser Perspektive wird das Thema für Nachhaltigkeitsabteilungen interessant. „Im Bereich CSR kann Open Source eine wichtige Rolle spielen. Es geht um die Frage, ob Unternehmen als Good Citizen an der globalen Open Source Software-Entwicklung partizipieren oder weltabgewandt wirtschaften“, sagt Matthias Stürmer. Der promovierte Wirtschaftsinformatiker leitet die Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Universität Bern. Stürmer sieht Parallelen zur ökologischen Nachhaltigkeit und der – anfangs marginalen – Nachhaltigkeitsbewegung der 80er Jahre. „Heute wiederholt sich die Geschichte im digitalen Bereich: Die digitale Transformation stellt uns vor neue Herausforderungen: Ist sie fair? Profitieren alle davon?“

Bei Open Source gehe es darum, digitales Wissen in Form von Software-Quelltext zu teilen – sodass so- wohl Großkonzerne als auch die Zivilgesellschaft von digitalen Innovationen profitierten. Stürmer weiter: „Wir müssen verstehen, wie der digitale Raum funktioniert: In der physischen Welt wird das, was wir teilen, weniger. Werden digitale Güter geteilt, werden sie nicht weniger, sondern lassen sich unter Umständen sogar noch verbessern und erweitern.“ Open Source-Projekte böten Unternehmen die Chance, sich als Innovationsführer zu positionieren, so der Wirtschaftsinformatiker. „Das macht sie attraktiv für Fachkräfte und für Partnerschaften mit anderen innovativen Unternehmen.“

Im Umfeld der Open Source-Produkte entstehen zudem neue Geschäftsfelder. „Unternehmen wie Red Hat verkaufen keine Lizenzen. Aber sie bieten Sicherheitsgarantien und Weiterentwicklungen an, damit CEOs und CTOs gut schlafen können.“ Open Source reduziere die Abhängigkeit von einzelnen Software-Herstellern und erleichtere es Startups, rasch innovative Lösungen für neue Herausforderungen zu entwickeln. Ein Thema mit Zukunftspotential: „Unsere aktuelle Open Source Studie zeigt für die Schweiz: Nach Einschätzung der IT-Verantwortlichen gewinnt Open Source an Bedeutung“, sagt Stürmer.

Abgasmanipulation nicht mit Open Source

Für den katholischen Theologen und Organisationsentwickler Jonathan Berschauer bietet Open Source Antworten auf die ethischen Herausforderungen des digitalen Wandels. Die Digitalisierung „durchdringt alle Lebensbereiche und sie lässt sich nicht – wie Atomkraftwerke – einfach abschalten“, sagt Berschauer. Dabei bleibe der Begriff meist abstrakt und die Menschen seien sich der eigenständigen Macht und Bedeutung des Digitalen nicht bewusst. Berschauer: „Ein Beispiel ist der Abgasskandal: Fast niemand fordert hier offene Software, und trotzdem wären die Manipulationen ohne Software nicht möglich gewesen.“ Und auch der Daten-Skandal bei Facebook hänge mit fehlender Software- und Algorithmentransparenz zusammen.

Thema für die Complianceabteilungen

Open Source werde damit zu einem Thema für die Complianceabteilungen von Firmen. „Es geht dar- um, dass Unternehmen demokratiefreundlich agieren“, sagt Berschauer. „Es geht auch um das Risikomanagement. Nicht zuletzt – denken Sie an die Softwareausstattung selbstfahrender Autos – geht es auch um gesellschaftliche Akzeptanz und Verantwortung. Wer seine Software offenlegt, verschiebt die schwere und kostspielige Verantwortung sozusagen in die Demokratie.“

Der Theologe ist Sprecher der Initiative „Digitale Nachhaltigkeit“ des kirchlichen Vereins LUKi. „Die freie Software-Bewegung gibt es schon lange. Mit der Initiative ‚Digitale Nachhaltigkeit‘ wollen wir nun versuchen, dies auch wissenschaftlich, ethisch- begründet zu verstehen und entsprechend handeln“, so Berschauer. „Dabei bedeutet Nachhaltigkeit, dass wir vor allem unter Gerechtigkeits- und Freiheitsaspekten auf die Digitalisierung schauen.“

Eine freiheitsfördernde Open Source-Software sei unter diesem Gesichtspunkt das Wichtigste. „Auch Open Data und Open Access hat mit digitaler Nachhaltigkeit zu tun. Aber ohne Software ist im Bereich des Digitalen nichts machbar, sie ist die Autobahn, das grundlegende Werkzeug.“

Führungsebenen überzeugen

Nachhaltigkeit sei im Bereich des Digitalen noch wenig ausgeprägt – selbst im kirchlichen Milieu sei der Gedanke neu. „Die Führungsebene muss davon überzeugt sein“, sagt Berschauer. „Das Digitale ist ein schwieriges Thema, hier fehlt es auf der Führungsebene noch oft an Kompetenzen. Digitales wird oft als Produkt verstanden – und nicht als Medium, durch das sich Menschen in der Welt mitteilen und darin handeln.“ Die Kirchen können über ihre Bildungsangebote Aufklärung leisten, ihren eigenen Einkauf als Hebel nutzen und bei Neubeschaffungen auf den Einsatz von Open Source-Software achten.

Open ist nicht „regellos“

Das „Open“ nicht mit „regellos“ oder „beliebig“ gleichzusetzen ist, wird am Beispiel der Open Educational Resources (OER) deutlich. Hierbei geht es um Bildungsmaterialien, die nicht nur frei zugänglich sind. Diese Materialien können zudem weiter- verteilt und auch umgestaltet und weiterentwickelt werden. Dazu wird in der Regel das Lizenzmodell der „Creative Commons“ (CC) verwendet: Diese Lizenz regelt in ihrer Grundversion – CC-BY –, dass der Ersteller des Bildungsmaterials bei einer Weiterverwendung als solcher zu nennen ist. Es geht also um den Schutz des geistigen Eigentums.

Weitere Versionen der CC-Lizenzen können die Verwendung dann einschränken: So besagt die Lizenz CC-BY-SA, dass ein verändertes Material wiederum unter dieselbe Lizenz gestellt werden muss. Die Lizenzversion CC-BY-SA-NC untersagt zudem eine kommerzielle Verwendung.

Dass neben solchen Lizenzen eine kulturelle Basis erforderlich ist, wird besonders an dem wohl bekanntesten Open-Projekt deutlich: der Wikipedia. Hier steht eine Gemeinschaft mit unterschiedlichen Verantwortungsebenen im Hintergrund, die das Entstehen neuer und die Veränderung bestehender Einträge begleitet.

Macht die Beteiligung an der Open-Bewegung tatsächlich reich und prominent? Ja und nein. Unternehmen profitieren durch Kosteneinsparungen und die Gesellschaft durch offene Zugänge und reduzierte Abhängigkeiten. Manche Informationen und offene Produktionen finden eine weite Verbreitung. Auf jeden Fall aber lassen sich viele Herausforderungen in einer zunehmend vernetzten digitalen Welt nicht anders oder nur deutlich schlechter lösen. „Open“ ist aus der Zukunft nicht wegzudenken.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.


Der Beitrag erschien zuerst im CSR MAGAZIN, 30. Ausgabe, Juni 2018, S. 35-39


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